So erst recht nicht!
Die gestern per E-Mail weitergeleitete Meinungsäußerung von Jörg Kreuzinger hat bei mir nur Kopfschütteln ausgelöst. Seine Art, die Moralkeule zu schwingen und Contergan¬geschädigten mangelndes Demokratieverständnis vorzuwerfen, nur weil diese – in rechtsstaatlicher Tradition – gewagt haben, ihre Meinung zu äußern, ist – wie man so schön sagt – voll daneben. Jörg verkündet auch hochtrabend, man solle „konstruktiv und respektvoll“ miteinander umgehen. Wo bleibt der Respekt vor den anderen Contergan-aktivisten? Insofern: Thema verfehlt, Note 6. Hier zeigt sich im Gegenteil mal wieder, wie mit Meinungen umgegangen wird, die nicht auf der Linie des Bundesverbands liegen. Ich kann dazu nur sagen: Wer im Glashaus sitzt …
Ist es denn hinnehmbar, dass ein Mahnmal zur Erinnerung an die Opfer der Contergan-katastrophe von der Zustimmung des Schädigers abhängig gemacht wird? Ist man denn im Dunstkreis des Bundesverbands bereits so abgehoben? Hier musste zwingend Protest eingelegt werden. Das hätte ich im Übrigen vom Bundesverband selbst erwartet. Was ist an diesem Protest und der – im Übrigen folgenlosen – Rücktrittsforderung so falsch. Ich denke nicht, dass der SPD-Oberbürgermeister so dünnhäutig ist, dass er sich bei Jörg ausgeheult hat und dieser sich deshalb aufgerufen sah, den Rücktrittsfordernden ein Demokratidefizit zu unterstellen.
Dem Bundesverband und seinen Helfershelfern stinkt es einfach, dass es unter uns Conterganopfern auch andere Auffassungen gibt über unseren Kampf um eine gerechte Entschädigung – wie es in einer Demokratie halt eben Brauch ist. Aber statt Kritiker einzubinden, eigene Positionen zu hinterfragen oder einfach mal zuzuhören wird verunglimpft. Damit meint man, das Problem beseitigen zu können und in aller Ruhe und ungestört wieder von seinem hohen Ross aus „mit denen da oben“ (Politiker, Ministerium) an einem Tisch sitzen zu können. Fühlt sich ja auch toll an, mit diesen Leuten auf (vermeintlicher) Augenhöhe zu sitzen, oder?
Ich kann dazu nur eines sagen: Die Politiker und die beteiligten Ministerien ziehen den Bundesverband mit dem Nasenring durch die Manege, und die merken es nicht mal.
Es ist ja auch einfacher, Personen oder Vereinigungen zu verunglimpfen, als sich die Mühe zu machen, in der Sache zu diskutieren und sich mit den Argumenten der Gegenseite auseinander zu setzen. Ich für meinen Teil bin erleichtert, dass es auch noch andere Conterganaktivisten wie das Contergannetzwerk von Christian Stürmer gibt, die sich eben nicht auf Politiker verlassen und um Almosen betteln. Die haben beim Bundesverfassungsgericht eine klasse Verfassungsbeschwerde eingereicht, die nicht auf Bitten und Betteln aufgebaut ist, sondern die jahrzehntelangen Versäumnisse der jeweiligen Bundesregierungen thematisiert und unsere Ansprüche klar und deutlich formuliert. Ist daran etwas falsch? Ich habe bisher noch keinen Beifall des Bundesverbands hierzu vernommen. Dabei ist es in einem demokratischen Rechtsstaat das Recht eines jeden Einzelnen, vor den Gerichten Ansprüche geltend zu machen.
Und die Ironie der Geschichte? Wenn die verabscheuungswürdigen Conterganaktivisten Erfolg haben und eine höhere Entschädigung für uns Conterganopfer erreichen, dann darf jeder, der bisher auch in der unerträglichsten Weise auf diese Conterganaktivisten geschimpft hat, die Hand aufhalten (sofern man eine hat) und das gleiche kassieren wie alle anderen. Ist das Leben nicht schön?
Noch eine Bemerkung zum Demokratieverständnis des Bundesverbands:
Der Bundesverband hat am 25.06.2009 ein Schreiben an alle Mitglieder gerichtet, welches mit dem Satz geendet hat "Für Fragen stehe ich euch gerne zur Verfügung". Ich habe dem Bundesverband darauf hin am 25.06.2009 eine E-Mail zugeleitet, in der ich diesen Hinweis aufgegriffen und einige Fragen formuliert habe. Bis heute habe ich darauf keine Antwort erhalten. Das war bereits das zweite Mal, dass ich auf eine E-Mail keine Antwort erhalten habe. Zufall? Und das zweimal? Oder ist das der „demokratische“ Umgang mit Kritikern des Bundesverbands? Und was ist mit der demokratischen Legitimation des Vorstands des Bundesverbands? Nach der Satzung ist die Wahl des Bundesvorstands absolut in Ordnung, aber nach dem demokratischen Grundverständnis „ein Conti, eine Stimme“ unerträglich.
Wer ein solch verqueres Demokratieverständnis äußert, der disqualifiziert sich selbst.
Andreas Brand
zur Veröffentlichung freigegeben