MOBILITÄT IM ALTER – DAS PROBLEM DER FAHRTAUGLICHKEIT
04. Februar 2022
Überblick über die rechtliche Lage zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit
Kommt irgendwann ein „Senioren-TÜV“ für Autofahrer? Drei Viertel aller Autounfälle werden von älteren Menschen verursacht. Immer wieder fordern Fachleute daher entsprechende Fahrprüfungen ab einem bestimmten Alter. Eine Diskussion, deren Ergebnis auch Einfluss auf das Leben von Menschen mit Conterganschädigung hätte. Wir haben recherchiert und geben Ihnen einen Überblick über die aktuelle Lage und was Sie selbstständig für die sichere Mobilität im Alter tun können.
Die meisten Unfälle im Straßenverkehr gehen nach wie vor auf junge Menschen zurück. Dennoch gelten ältere Menschen als signifikante Risikogruppe im Straßenverkehr - im Zuge des demografischen Wandels mit steigender Tendenz. Sind in jungen Jahren mangelnde Erfahrung und Selbstüberschätzung oft die Ursache, sind es im Alter die abnehmende Reaktionsschnelligkeit, mangelnde Übersicht oder fehlende Beweglichkeit.
WAS IST „ALT“ UND WER IST (NOCH) FAHRTÜCHTIG?
Nach der Unfallstatistik sind die „besten“ oder sichersten Autofahrer zwischen 55 und 65 Jahre alt. Sie verfügen über viel Praxis, Erfahrung und Sicherheit und haben den Leichtsinn jüngerer Jahre hinter sich. Dann jedoch steigt die Unfallkurve, erst leicht, und ab 75 Jahren wird die Kurve zur Steilklippe. Wird jemand ab 75 am Steuer in einen Unfall verwickelt, so trägt er oder sie in drei von vier Fällen die Hauptschuld, wie Zahlen des Statistischen Bundesamts belegen. Der Automobilclub ADAC relativiert: „Menschen ab 65 Jahren verursachten etwa 16 Prozent der Unfälle mit Verletzten, obwohl sie 21 Prozent der Bevölkerung ausmachen.“
Experten fordern dennoch eine regelmäßige Pflicht zur Überprüfung der Fahrtauglichkeit im Alter. Ein solcher Vorstoß wird dann schnell von anderer Seite als Diskriminierung abgelehnt. Und in der Tat: Welche Altersschwelle soll gelten – 65, 70 oder erst 80? Eine schwierige Diskussion, die andere Faktoren wie etwa die individuelle körperliche und geistige Fitness nicht berücksichtigt.
Dass alt sein für sich allein kein hinreichender Grund zur Prüfung der Fahreignung ist, gilt auch juristisch als Konsens. So hat etwa das Verwaltungsgericht Saarlouis zuletzt 2011 festgestellt, dass das Alter eines Menschen „und das Absinken der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit … keinen Anlass [bietet], die Kraftfahreignung im Straßenverkehr durch ein ärztliches Gutachten [zu] überprüfen.“
Auch Seniorenvertretungen lehnen dies ab: Die oben genannte Risikogruppe mache faktisch nur drei bis fünf Prozent der Älteren aus. Und da Senioren zudem gemeinhin weniger fahren, seien sie sogar ein geringeres Verkehrsrisiko als andere Altersgruppen, sagt etwa Prof. Dr. Georg Rudinger von der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e. V. (BAGSO). „Außerdem werden die interindividuellen Unterschiede mit höherem Alter immer größer. Gerade die Älteren sind eine sehr heterogene Gruppe.“ Je älter die Menschen, desto stärker unterscheiden sie sich also. Sind wir mit 20 alle ähnlich fit, sieht das mit 75 oder 80 schon anders aus. Zudem sei eine Fahrprüfung ohnehin nur eine Momentaufnahme, so Rudinger.
SIND MENSCHEN MIT CONTERGANSCHÄDIGUNG FRÜHER BETROFFEN?
Für Menschen mit Conterganschädigung wäre der Wegfall der Mobilität, nicht nur im Alter, ein weitaus größerer Einschnitt als bei Menschen ohne Behinderung. Wenn sie selbst ein Auto fahren, haben sie dies durch Beharrlichkeit, meist mithilfe spezieller Umbauten der Fahrzeuge und technischen Applikationen erreicht und über Jahre hinweg trainiert.
Menschen mit Conterganschädigung sind zwar noch einige Jahre von der „Risikogruppe Mitte 70plus“ entfernt. Doch kommen bei ihnen bereits jetzt, mit Anfang 60 andere Faktoren hinzu, welche die Fahrfähigkeit beeinträchtigen können. Allgemein gelten Gleichgewichtsstörungen, Herz- und Gefäßerkrankungen, Bluthochdruck und chronische Alterserkrankungen wie Diabetes mellitus oder Demenzerscheinungen als negative Einflüsse in Sachen Fahrtüchtigkeit. Limitierende Erkrankungen sind bei Menschen mit Conterganschädigung zum Beispiel Sehstörungen und die Beeinträchtigung des Gehörs. Störungen, die bei Menschen ohne Behinderung meist erst später eintreten. Auch psychische Erkrankungen oder eine Dauerbehandlung mit Schmerzmitteln können die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen – alles Faktoren, die auf viele Menschen mit Conterganschädigung bereits heute zutreffen können.
Grundsätzlich ist der oder die Fahrer/in (laut Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, StVZO) dazu verpflichtet, „vor Antritt jeder Fahrt kritisch zu prüfen, ob er den Anforderungen des Straßenverkehrs gewachsen ist.“ Wer sich infolge körperlicher oder geistiger Mängel nicht sicher im Verkehr bewegen kann, darf laut der Fahrerlaubnisverordnung (FeV, § 2) nur dann am Verkehr teilnehmen, wenn dafür gesorgt ist, dass er andere nicht gefährdet. Das klingt nach permanenter Selbstüberprüfung und der berühmten Eigenverantwortung.
Die Verkehrswacht NRW rät bereits 40-jährigen generell zur regelmäßigen Überprüfung ihrer Sehkraft. Menschen ab 60 sollen neben dem Sehen ihre Hörfähigkeit, Reaktionsschnelligkeit und Konzentration überprüfen. Kommen körperliche Einschränkungen hinzu, gilt dieser Rat umso mehr.
ÄRZTINNEN UND ÄRZTE IN DER VERANTWORTUNG?
Rechtlich gesehen kann jeder also selbst entscheiden, ob er oder sie sich für den Straßenverkehr tauglich fühlt. Tests hierfür bzw. für die Fahreignung können bei entsprechenden Begutachtungsstellen oder bei Betriebs- und Arbeitsmedizinern absolviert werden. Die Kontaktdaten dafür bekommt man aus den gesetzlichen Vorschriften oder über eine Auskunft des behandelnden Arztes. Bislang, so zeigen Erhebungen, sprechen ältere Autofahrer ihre Ärzte lediglich zu etwa 19 Prozent überhaupt auf das Thema Fahrtüchtigkeit an. Und das sind meist solche, die es nicht unbedingt müssten.
In anderen Ländern wurden bereits strengere Regelungen getroffen: Ältere Menschen aus der Schweiz, Italien, Finnland, Tschechien, Neuseeland und Kanada etwa müssen alle paar Jahre einen Gesundheits- bzw. Sehtest absolvieren. In einigen anderen Staaten kann ein Arzt nach Ermessen einen Menschen zum Fahrtest schicken. Wer dabei scheitert, verliert den Führerschein. Japan testet im Rahmen der Untersuchung außerdem, ob Rentnerinnen und Rentner dement sind.
Zwei Drittel aller Deutschen befürworten eine Fahrtauglichkeitsprüfung im Alter. Das zeigte eine Forsa-Umfrage 2018 im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins. Doch weder ist derlei geplant, noch gehen Expertinnen und Experten davon aus, dass sie jemals kommen wird. Appelle an die Eigenverantwortung bleiben deshalb das einzige Mittel. Denn jedem Menschen ist es selbst überlassen, wann er sich nicht mehr ans Steuer setzen will.
SCHNELLTESTS UND „RÜCKMELDEFAHRT“
Sich im Alter freiwillig einer weiteren Fahrtauglichkeitsprüfung zu unterziehen, bleibt dabei eine Option, die angesichts einer alternden Gesellschaft ratsam erscheint.
Ob Sie selbst noch ein guter Autofahrer sind oder nicht? Ein Schnelltest kann Ihnen eine erste Antwort geben. Angebote hierfür findet man im Internet auf verschiedenen Websites etwa von Verkehrs- oder Automobilclubs (zum Beispiel ADAC) oder anderer Organisationen (zum Beispiel DEKRA).
Eine weitere Möglichkeit ist die freiwillige „Rückmeldefahrt“ bei einem Verkehrsclub, einer Fahrschule oder einem anderen Anbieter. Dabei werden die Fähigkeiten des Fahrers oder der Fahrerin geprüft. Eine solche Fahrt kostet etwa 50 Euro. Rechtliche Konsequenzen zieht sie nicht nach sich, gibt aber wichtige Hinweise.
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